Samstag, 4. November 2017

Gott vergessen?

„Schweriner Bischof: ,Gott, den haben wir glatt vergessen‘“ – diese Schlagzeile von jesus.de spült es mir heute morgen in die Twitter-Timeline und erregt meine Aufmerksamkeit: Wenn ein Bischof sagt, wir hätten Gott vergessen, dann möchte ich gerne wissen, was dahinter steckt und wie er darauf kommt.
Die Lektüre der ersten Zeilen macht dann schon klar, dass die Schlagzeile in die Irre führt. Nicht wir haben seiner Meinung nach Gott vergessen, sondern die. Bischof von Maltzahn redet über die anderen, die da draußen, die Gott vergessen haben. Und wie es dazu kommen konnte. Wie ein Zoologe oder Ethnologe guckt er auf diese sonderbaren Menschen, die ohne Gott und ohne Religion gut leben: „Was erfüllt ihr Leben? Was trägt sie in Krisen und im Gedanken an den Tod? Wonach sehnen sie sich in der Tiefe ihres Herzens?“ – Ja, dann frag sie doch einfach, denke ich. Oder noch besser: Lass sie selber erzählen! Lade die ein, für die das Wir zutrifft, die wirklich von sich sagen: „Gott, den haben wir glatt vergessen“, und lass sie den Vortrag halten, den du da anbietest.
Ich weiß, das ist am Ende gar nicht so einfach. Weil du eher einen militanten Atheisten finden würdest, der in der Kirche gegen die Kirche spricht, als einen religiös Gleichgültigen, der gar kein Interesse hat, sich in irgendeiner Weise mit dir, mit uns auseinanderzusetzen. So bleibt wohl nicht viel mehr als das Mutmaßen über Wissenschaftsgläubigkeit und „das zum Ideal erhobene Leben fürs Private, für das nahe Umfeld ihrer Existenz“.
Wobei: Diese zitierte Formulierung hat mich aufmerken lassen. Denn: Vielleicht ist dieses Ideal – nahes Umfeld – so überhaupt nicht weit weg von dem, was Jesus Nächstenliebe nennt. Und nicht weit weg von unserer Erfahrung, dass wir im Privaten und im nahen Umfeld der Existenz als Kirche am meisten nachgefragt und geschätzt werden: bei familiären Anlässen, wenn ein Kind geboren wird, wenn ein junger Mensch erwachsen wird, wenn zwei sich zusammentun, wenn einer krank wird oder in Not gerät, wenn eine stirbt. Das wäre dann wohl auch der Ort, wo Gott (wieder) wichtig sein kann.


Eine ganz andere Spur wäre es, den Satz von Bischof von Maltzahn ernst zu nehmen, so wie er zitiert wird: Sind wir – Christen, Kirche – vielleicht am Ende diejenigen, die Gott vergessen haben? Jedenfalls leben und handeln wir zum größten Teil so, als ob es ihn nicht gäbe... Ich meine damit diesen funktionalen Atheismus, der organisiert und tut und redet, als ob alles von uns abhinge. – Das tut es nicht. Und das ist doch eigentlich das Evangelium!

3 Kommentare:

  1. Lieber Hinterweltler, das was Bischof Maltzahn beschreibt kann man evt. gut verstehen, wenn man Trauerfeiern im Osten besucht. Ging mir neulich so. Die Trauerrede, die der Bestatter hielt, schöpfte nur aus dem Privaten (als ob es Gott nicht gäbe). Musik: "Capri-Fischer" und "A whiter shade of pale" -- kein "Jesus lebt mit ihm auch ich!" -- obwohl mir der Verstorbene selbst vor einiger Zeit einmal erzählt hatte, dass er sich bewusst konfirmieren ließ und dadurch berufliche Schwierigkeiten hatte. Das war zu DDR-Zeiten. Die "Sseitn" haben sich geändert (wie es Uwe Johnson vielleicht formulieren würde). Der Tote würde jetzt in den Erinnerungen weiterleben, und einmal ist von der "Unendlichkeit" die Rede, das ist das Äußerste was man noch zu hören kriegt -- ich und meine Frau schauen uns an, wir sind beide Physiker und Christen. Als ich "Unendlichkeit" höre assoziiere ich irgendwie den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, aber es ist bestürzend. Welchen Denkspruch der Tote wohl hatte?

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  2. Lieber Jochanan, ich verstehe das schon so. Und ich kenne das auch. Ich kenne auch christliche Trauerfeiern, wo keiner mehr mitsingt und noch zwei, drei das Vaterunser mitsprechen. Die Frage und das Erstaunen bleibt: Die kommen ohne Gott aus. – Und wir? Sind wir die, die im Nietzsche'schen Sinne zu schwach dazu sind, weil wir unsere Hinterwelt zu brauchen meinen?
    Und für Sie als Physiker: Wie weit ist es eigentlich vom Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zu Gott?
    Herzliche Grüße!

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    1. Ich weiß nicht ob man das beantworten kann. Der Zweite Hauptsatz ist ein Hilfsmittel des Menschen, Vorgänge in der Natur zu verstehen. Insofern ist er beim Menschen verortet. Dass man aber überhaupt solche Strukturähnlichkeit (Homomorphie) zwischen mathematischen Objekten und Vorgängen in der Natur entdecken kann, dass die Welt überhaupt vernünftig ist, geht nach meinem Verständnis von Gott aus. Naturalisten sehen das anders -- das ist allerdings nicht mehr Gegenstand der Physik, aber Physik ist ja nicht alles.

      Damit "wir" Gott nicht vergessen, könnte Kirche aufhören mit unspezifischer Spiritualität zu werben, stattdessen so gut sie es kann aber klar vom Dreieinigen Gott reden. Ich habe auch den Eindruck, dass vor lauter politischer Korrektheit das verloren geht, was Rudolf Otto in seinem Buch "Das Heilige" mit "mysterium tremendum" zu beschreiben versucht. Wenn man nur noch Psychologie, Soziologie und Politik predigt, dann setzt man sich gewissermaßen einen Blitzableiter aufs Kirchendach, der die Gemeinde eher von Gott abschirmen soll -- und Gott sucht sich dann eben andere Wege.

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